Völlerei


Ausschnitt über die Völlerei aus "Die sieben Todsünden" von Hieronymus Bosch (um 1500)

Als sieben Todsünden sind sie weithin bekannt, auch wenn sie richtiger die sieben Hauptsünden genannt werden: Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Trägheit und die Unmäßigkeit, besser als Völlerei bekannt. Eine recht anschauliche Hauptsünde, geht’s doch ums Fressen und Saufen.
Die Völlerei ist eine in Bild und Wort oft behandelte Sünde, doch heute wird sie theologisch gerne "Unmäßigkeit" genannt. Doch Unmäßigkeit, das könnte die Überschrift über die Hauptsünden sein: Ein Zuviel oder Zuwenig, jedenfalls ein Verlust des rechten Maßes prägt sie alle. Deswegen ist der Begriff der "Unmäßigkeit" zwar intellektuell vielleicht gehaltvoller, verschleiert aber das Spezielle dieser Hauptsünde.
Die Erkenntnis, dass Essen und Trinken nicht nur notwendig sind, um am Leben zu bleiben, sondern auch Freude bereiten, ist nicht neu. Und nur die strengsten Asketen haben den Menschen abgesprochen, diese Freude genießen zu dürfen. Wenn aber Essen und Trinken zum Hauptinhalt des Glücksstrebens werden, dann ist das rechte Maß wieder einmal völlig verlorengegangen. Und gerade Gaumenfreuden eignen sich leider sehr gut, um kurzfristig von Leere, Sinnsuche und anderen Problemen abzulenken. Allerdings langfristig erfolglos. Wie der große Theologe Thomas von Aquin geschrieben hat, ist nicht der Wunsch nach Essen und Trinken das Problem, sondern der ungeordnete Wunsch, dem man bei vernünftiger Überlegung nicht nachkommen würde.
Völlerei wird nicht nur im Christentum problematisch gesehen. Auch im Judentum und Islam gilt sie als verwerflich. Im Buddhismus wird von manchen die Überwindung übermäßigen Verlangens nach Essen und Trinken geradezu als Voraussetzung für weitere spirituelle Fortschritte gesehen. Konfuzius wiederum soll gesagt haben: "Es ist schwierig, mit dem umzugehen, der sich den ganzen Tag mit Essen vollstopft, ohne den Geist mit irgendetwas Gutem zu beschäftigen. Gibt es denn nicht wenigstens Würfel- und Schachspieler? Einer von denen zu sein ist immer noch besser, als überhaupt nichts zu tun."
Auch in der griechischen Philosophie ist dieses Thema bekannt. Dort wird warnend ein assyrischer König Sardanapal genannt (es ist unklar, welcher König damit genau gemeint ist), der folgende Grabinschrift hatte: "Anchiale und Tarsos hat Sardanapal an einem Tag begründet; Du aber, Fremdling, iss, trinke, liebe; was sonst der Mensch hat, ist der Rede nicht wert." Aristoteles nennt ein solches Verhalten wie das des "lieben Viehs". Der Mensch ist zu mehr fähig und berufen.
Nun kann Völlerei auch der körperlichen Gesundheit schaden. Doch das muss gar nicht sein. Das in Goldfolie gebratene Steak eines reichen Fußballstars mag die richtige Menge haben, um den Hunger zu stillen, aber es entspricht ziemlich genau einer der fünf Arten der Völlerei, die schon Papst Gregor der Große unterschieden hat, die Verwendung exzessiv luxuriöser Zutaten. Isidor von Sevilla hat die Varianten der Völlerei auf vier Arten eingedampft, die dafür sehr einprägsam sind: Was man isst, wie man es isst, wann man es isst und – die bekannteste Art – wie viel man isst.
Was aber tun, wenn man sich selbst bei der Völlerei ertappt? Seine Begierden und Wünsche von der Vernunft leiten zu lassen, das lässt sich leicht schreiben, aber schwer tun. Das wusste auch Thomas von Aquin, der als Kontrastprogramm das Fasten empfiehlt. Es soll helfen, den Blick wieder für das Wesentliche zu schärfen, und auch Ordnung in die eigenen Wünsche, Neigungen und Verlangen zu bringen. Freilich wird Fasten nicht nur denen empfohlen, die an der Völlerei leiden. Übermäßiges Fasten wäre natürlich ebenso verfehlt, doch diese Gefahr besteht heutzutage ja tendenziell selten.
Text: Catull
(für das Pfarrblatt „Message4me“ unserer Heimatpfarre zur Frohen Botschaft)


zuletzt geändert: 13.03.2020 um 20.59 Uhr