Nummer 09/2020
100 Jahre Kärntner Volksabstimmung

Der Konflikt, der der Volksabstimmung vorausging, wird im deutschen Sprachraum als 'Kärntner Abwehrkampf' bezeichnet, in der slowenischen Sprache 'Boj za severno mejo' - Kampf um die Nordgrenze.


Bild: Kurier vom 10.10.2020
Im heurigen Jahr begehen wir den 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung. In Kärnten ist der 10. Oktober traditionell der bedeutendste Landesfeiertag. Doch vielen Menschen außerhalb Kärntens ist wenig bis nicht bekannt, woran an diesem Tag erinnert wird. Dabei ist gerade dieser Tag der Volksabstimmung im Jahre 1920 ein Meilenstein in der europäischen Ordnung nach dem 1. Weltkrieg. Die Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 ist einer der wenigen Fälle demokratischen Ausdrucks des von Woodrow Wilson proklamierten Selbstbestimmungsrechts der Völker nach 1918.

Landesbeschreibung – Geographie und Menschen
Der westliche, höher gelegene Landesteil mit dem höchsten Berg Österreichs, dem Großglockner, wird als Oberkärnten, der gegen Osten abfallende Teil als Unterkärnten bezeichnet. Die deutschsprachige Bevölkerung, mit katholischem und einem hohen Anteil an evangelischem Glaubensbekenntnis, stellt die Mehrheitsbevölkerung. Südlich der Drau, insbesondere im Gailtal, siedeln zahlreiche Slowenen, mit ausnahmslos katholischem Religionsbekenntnis. In der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe bekennt sich der Großteil zur katholischen Kirche, jedoch ist der Anteil der evangelischen Christen nach dem Burgenland der zweithöchste in Österreich.

Der Ablauf des Konflikts
Die genauen Details zu den Kämpfen sind zu umfangreich, um sie hier an dieser Stelle auszubreiten. Während die Regierung in Wien immer auf den Weg der Verhandlungen pochte und auch das betroffene Land Steiermark großteils den Verhandlungsweg beschritt, wählte die Kärntner Landesregierung den Weg des bewaffneten Widerstands.

Die Besetzung – das Eindringen slowenischer Truppen von 07. November – 04. Dezember 1918
Der Beginn des Konflikts ist die kampflose Besetzung von Teilen Südost und Südkärntens durch slowenische Truppen. Außerdem besetzten italienische Truppen das Kanaltal, Tarvis und Thörl-Maglern (Marktgemeinde Arnoldstein). Laut Waffenstillstandsabkommen von Villa Giusti am 03. November 1918 konnten sich Entente-Truppen frei in Österreich bewegen, durften also in keiner Weise von ziviler oder militärischer Seite behindert werden. Für italienische Truppen war dies eindeutig, nicht aber für die Truppen des neuen slowenischen Staates. In dieser Frühphase handelt es sich nicht um Truppen des Königreiches Serbien. Das Verhalten der slowenischen Besatzungstruppen gegenüber der Bevölkerung war sehr feindselig, obwohl es sich dabei um Gebiete mit einem hohen Anteil von slowenischer Bevölkerung handelte.

Der Abwehrkampf – die 1. Phase 05. Dezember 1918 bis 13. Jänner 1919
Am 5. Dezember 1918 wurde in einer Sitzung der Kärntner Landesversammlung einstimmig der Beschluss gefasst, 'angesichts des dem Selbstbestimmungsrecht der Völker hohnsprechenden Vorgehens jugoslawischer Truppen in Kärnten' dem Eindringen derselben mit allen Kräften entgegenzutreten“. In einem weiteren Beschluss wurde festgestellt, dass nur noch Entente-Truppen sich frei in Kärnten bewegen dürfen, jedoch allen südslawischen Truppen Widerstand zu leisten ist.

Miles-Mission
Im Jänner 1919 wurde in Wien das Hauptquartier einer US-amerikanischen Kommission unter Führung des Diplomaten und Historikers Archibald Cary Coolidge (1866-1928) eingerichtet. Er hatte mit zahlreichen Assistenten die Aufgabe, der amerikanischen Friedensdelegation in Paris aktuelle und vorurteilsfreie Informationen über die umstrittenen Gebiete Österreich-Ungarns zu liefern. In seinem Auftrag nahmen zwei US-amerikanische Offiziere, Oberstleutnant Sherman Miles und Leutnant Leroy King, an den Waffenstillstandsverhandlungen in Graz teil. Als die Verhandlungen in Graz zu scheitern drohten, konnten die beiden US-Offiziere ein Übereinkommen erreichen. Miles machte ohne eigentlichen Auftrag dazu den spontanen Vorschlag, die umstrittene Situation direkt vor Ort zu klären und dann eine vorläufige Demarkationslinie zu ziehen. Demnach begann am 19. Jänner der Waffenstillstand und die beiden US-Offiziere bereisten die fraglichen Gebiete, in Kärnten vom 28. Jänner bis zum 06. Februar 1919.
Die Kommission prüfte geographische, wirtschaftliche Aspekte und versuchte sich mit verschiedensten Methoden Informationen zu beschaffen. Ziel war es, einen Gesamteindruck der Verteilung der Volksgruppen einerseits und andererseits über die wirtschaftliche Abhängigkeit zu erhalten. Durch diese Kommission wurden die Kämpfe vorrübergehend unterbrochen und die Kärntner konnten in direkten Kontakt mit den Alliierten treten. Das Leitprinzip der US-Amerikaner war die Doktrin ihres Präsidenten Wilson, von der Selbstbestimmung der Völker. Die Wünsche der Kärntner Bevölkerung sollten letztlich für die Grenzziehung ausschlaggebend sein.
Die Ergebnisse der Miles-Mission waren:
  • Die Karawankengrenze sollte als Demarkationslinie nach Süden festgelegt werden.
  • Eine Teilung des Südkärntner Raumes würde der wirtschaftlichen und geographischen natürlichen Einheit des Gebietes widersprechen. Dieser Ansicht war laut Miles auch ein Großteil der dort lebenden Slowenen.
Die Berichte der Miles-Mission wurden nicht veröffentlicht, aber ihre Wirkung auf die amerikanische Delegation in Paris war bedeutend für den weiteren Verlauf der Verhandlungen.

Verhandlungen in Paris – die 1. Phase 18. Februar bis 06. April 1919
Während der Pariser Friedenskonferenz wurde vom 18. Februar bis zum 06. April 1919 die Kärntner Frage erörtert.

Der Abwehrkampf – die 2. Phase 29. April 1919 bis 07. Mai 1919
Nachdem die Friedensverhandlungen von Paris für den SHS-Staat schlecht liefen, wurde das Südkärntner Gebiet im April 1919 neuerlich von Truppen besetzt. Die Verteidigung und der sofortige Gegenangriff der Kärntner ermöglichten ein Zurückdrängen des Gegners bis zur Landesgrenze. Ab dem 07. Mai war ganz Kärnten von den Besatzungstruppen befreit. Knapp davor protestierte aber noch die österreichische Staatsregierung in Wien bei der Kärntner Landesregierung, wegen der Kampfhandlungen und des Überschreitens des Flusses Drau.

Verhandlungen in Paris – die 2. Phase 06. April bis 02. Juni 1919
Der italienische Außenminister deponierte einen nicht unbedeutenden wirtschaftlichen Wunsch seiner Regierung. Die direkte Eisenbahnverbindung vom italienisch beanspruchten Fiume über Triest nach Wien, führte über Klagenfurt. Es sollte daher nur italienisches und österreichisches Staatsgebiet betroffen sein und keine Zollschranken eines Drittstaates eine Behinderung darstellen. Ausgehend von der Eisenbahnüberlegung Italiens, kommt es schließlich durch den obersten Rat zur Entscheidung einer Volksabstimmung.

Der Abwehrkampf – die 3. Phase 27. Mai 1919 bis 06. Juni 1919
Nach dem Einsetzen von Kampfhandlungen am 27. Mai startete ein serbischer Großangriff. Bereits am darauffolgenden Tag musste der Kärntner Landesbefehlshaber Hülgerth der Befehl zum allgemeinen Rückzug über die Drau geben. Schließlich verlegte am 30. Mai die Landesregierung ihren Sitz von Klagenfurt nach Spittal an der Drau. Die Aufforderung der Alliierten an beide Kampfparteien die Kampfhandlungen einzustellen war wirkungslos. Ab dem 02. Juni brach die Kärntner Front zusammen, Völkermarkt wurde kampflos dem Gegner überlassen und am 06. Juni Klagenfurt von den Jugoslawen besetzt. Klagenfurt wurde zum Sitz der interalliierten Militärmission. Durch die unsichere Situation, besetzten italienische Truppen die Eisenbahnlinie Tarvis-Villach-St. Veit bis Launsdorf.

Verhandlungen in Paris – die 3. Phase 02. Juni bis 10. September 1919
Der US-Präsident Wilson fällt die endgültige Entscheidung nach einer Volksabstimmung in den definierten Zonen A und B. Bei dieser Entscheidung konnte er auf den ausführlichen und nicht öffentlichen Bericht der Miles-Mission zurückgreifen. Zone A war das direkt an Slowenien angrenzende Gebiet mit einem, laut letzten Volkszählungen, höheren slowenischsprachigen, als deutschsprachigen Anteil. Dieses Gebiet umfasst 1.705km² und hatte rund 72.000 Einwohner. Davon waren ca. 49.000 slowenisch-, und 23.000 deutschsprachige Bewohner. Die Zone B schloss nördlich an die Zone A an. Hier sollte nur eine Volksabstimmung durchgeführt werden, wenn die Abstimmung in Zone A positiv für den SHS-Staat ausgefallen wäre. Dieses Gebiet hatte laut letzten Volkszählungen einen höheren deutsch-, als slowenischsprachigen Anteil und hatte eine Größe von ca. 365km² mit rund 53.500 Einwohnern. Davon waren ca. 49.000 deutschsprachige und 4.500 slowenischsprachige Bewohner. Jugoslawische Einsprüche dagegen scheiterten und es kommt zur Ausarbeitung des Friedensvertrags von St. Germain-en-Laye. In diesem wird in den Artikeln 49 und 50 die Volksabstimmung vorgegeben.

Volksabstimmung
Die südliche 'Zone A' war von Truppen des SHS-Staates besetzt und blieb es bis nach der Volksabstimmung, die nördliche 'Zone B' verblieb unter österreichischer Kontrolle. Die Volksabstimmung sollte zuerst in der südlichen Zone A durchgeführt werden. Sollte diese für Jugoslawien ausgehen, auch in der nördlich gelegenen Zone B, sodass die wirtschaftlich aneinandergebundene Bevölkerung die Möglichkeit einer gemeinsamen Existenz hat. Ohne Abstimmung wurde das Kanaltal mit seinem Hauptort Tarvis an Italien, das Mießtal, Unterdrauburg und die Gemeinde Seeland (Kankertal) dem SHS-Königreich zugeschlagen. Diese Grenzziehung hat bis heute Gültigkeit.
Am 10. Oktober erfolgte die Volksabstimmung in der Zone A, deren klares Resultat am Abend des 13. Oktober 1920 verkündet wurde:
Wahlbeteiligung 95 %
  • ÖSTERREICH 59,04 %
  • SHS - JUGOSLAWIEN 40,96 %
Die Mehrheit von 18,08 % für Österreich stellte eine klare Entscheidung dar. Nach der Volkszählung von 1910 stellte die slowenische Bevölkerung in dieser Abstimmungszone A immerhin 70 % der Bevölkerung. Der Wille zur über Generationen gelebten wirtschaftlichen Einheit, aber vor allem die schlechte Erfahrung durch die südslawische Besatzung führte zu diesem Ergebnis. Ohne diesem Bekenntnis der slowenischen Bevölkerung zum Land Kärnten und der jungen Republik Österreich, wäre es zu einer weiteren Abstimmung in der Zone B gekommen.

Fakten und Lehren
Was bleibt von dieser wechselvollen Zeit für uns erhalten? Vor allem einige Daten und Fakten, die wir als Lehre bis heute erkennen können.
Aufgrund des entschlossenen Widerstandes der Kärntner kamen den USA Zweifel, ob die Gebietsansprüche des südslawischen Staates dem Selbstbestimmungsrecht der Völker entsprachen - das Ergebnis war die Volksabstimmung. Das defensive Zuwarten und Vertrauen der Bundesregierung in Wien auf eine vertragliche Lösung wäre nicht zielführend gewesen. Durch den entschlossenen Kampf der Kärntner wurde die internationale Aufmerksamkeit erreicht. Zusammenfassend muss man heute beide Seiten als Gewinner anerkennen. Die Einheit Kärntens konnte bis auf den Verlust weniger Gebiete erhalten bleiben. Die heutige Republik Slowenien profitierte vom 'Kampf um die Nordgrenze' während ihrer ersten, kurzen Zeit als freier Staat. Gebiete des Landes Kärnten und auch der Steiermark befinden sich innerhalb seiner Grenzen. In unserem heutigen freien und ungeteilten Europa, darf das aber keine Probleme mehr darstellen.

Text: Lucullus, Phx

Kontakt für allfällige Rückmeldungen:
blech-bote@aon.at

zuletzt geändert: 01.11.2020 um 01.12 Uhr