Nummer 2/2023
O tempora, o mores!

Der Fasching ist zwar schon vorbei, aber dennoch – oder gerade deshalb – bietet sich die besinnliche Fastenzeit an, um über den rasanten Wandel der Moralvorstellungen unserer Gesellschaft, insbesondere im Laufe der letzten Jahrzehnte, nachzudenken.


Mit dem Aschermittwoch ging der Fasching bzw. der Karneval, wie er anderswo gerne genannt wird, zu Ende. Der Ursprung des Wortes 'Karneval' steht nicht eindeutig fest, dürfte aber mit großer Wahrscheinlichkeit vom Lateinischen 'carne' für 'Fleisch' und einem Zusatz der 'wegnehmen' oder ähnliches bedeutet, abgeleitet sein, obwohl daraus ein Synonym für die Wochen vor der Fastenzeit, in denen man noch fleischlichen Genüssen aller Art frönen durfte, entstanden ist. Besonders Venedig war bis ins 18. Jhdt. für vielerlei Ausschweifungen bekannt, wie man unter anderem aus den Erzählungen Casanovas weiß. In der Lagunenstadt war die Prostitution weit verbreitet, angeblich sollen fast 10% der Einwohnerinnen Kurtisanen gewesen sein, weshalb der Senat Venedigs (erfolglos) versuchte die Prostitution zu verbieten, um die Verbreitung von Seuchen einzudämmen. Auch die Homosexualität war im Mittelalter strengstens verboten und Männern jeglichen Standes drohte dafür die Todesstrafe. Während des Karnevals wurden jedoch so manche Ausnahmen toleriert, vermutlich weil die Einhaltung der Sittenvorschriften infolge der Kostümierungen ohnedies kaum zu überwachen gewesen wäre.

Auch anderswo wurde der Fasching, dessen Ursprung vermutlich auf römische, keltische oder gar noch ältere Feste zurückgeht, mit denen der Beginn eines neuen Jahres und das Nahen des Frühlings gefeiert wurde, immer schon gerne zum Tanzen und für Vergnügungen genutzt. Allerdings war Körperkontakt beim Tanzen jahrhundertelang verpönt bzw. zeitweise sogar bei Strafe verboten, da Berührungen als unzüchtig galten. Erst im 19. Jhdt. wurden die Sitten etwas freizügiger und mit den Walzern kam die enge Tanzhaltung so richtig in Mode. Was erlaubt war bzw. ist, regeln nicht nur unsere Gesetze, die teilweise noch auf den Grundzügen des römischen Rechts aufgebaut sind, sondern vor allem die Weltanschauung der Menschen, welche die Gesetzte machen und vollziehen. Im 'christlichen Abendland' Europa waren diese Werte weit mehr als tausend Jahre von den religiösen Geboten der katholischen Kirche geprägt, wenn man davon absieht, dass die Christen nicht nur Andersgläubige aufs heftigste bekämpften (z.B. bei den Kreuzzügen), sondern sich nach der Abspaltung der Protestanten bisweilen (entgegen des Gebots der Nächsten- oder gar Feindesliebe) auch gegenseitig die Schädel einschlugen. Trotzdem waren in unserer Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg relativ konstante Moralvorstellungen, basierend auf christlichen Grundwerten, vorherrschend. (Anm.: Zum Thema 'Moral' siehe auch Beitrag 'Schweinerei' im Blech-Boten 9/2021.) Mit der Entstehung des Humanismus im 18. Jahrhundert wurde jedoch der Mensch in den Mittelpunkt gerückt und die Bedeutung Gottes und der Kirchen zurückgedrängt. Dies führte insbesondere ab dem 20. Jhdt. zu einer weitgehenden Säkularisierung unserer Gesellschaft.

Bis zum ersten Weltkrieg wurden die europäischen Staaten noch vorwiegend von christlichen Herrscherhäusern regiert, wobei sich die Untertanen lange Zeit der jeweiligen Religion ihres Landesherren anpassen oder in andersgläubige Regionen übersiedeln mussten. In Österreich wurde die private Religionsfreiheit der Protestanten und Orthodoxen gegen Ende des 18. Jhdt. von Joseph II. eingeführt und unter Kaiser Franz Joseph wurden auch Muslimen und Juden die allgemeinen Bürgerrechte zuerkannt. Manche Angehörige des jüdischen Geldadels wurden von ihm sogar in den echten Adelsstand erhoben, ein Privileg, dass sie jedoch nicht allzu lange genießen konnten. Mit dem Untergang der Monarchie und der Befreiung aus dem angeblichen Völkerkerker wurde der Nationalismus keinesfalls hinfällig, sondern er wurde und wird bis heute in vielen europäischen Ländern weiterhin 'gepflegt' und auch der schon lange latente Antisemitismus, der durch den Neid der besitzlosen Arbeiterschaft auf die reichen Juden angeheizt wurde, erreichte erst in den folgenden Jahrzehnten seine Hochblüte. Aber die Nazis haben nicht nur die Juden verfolgt, sondern sie wollten auch die Dominanz der christlichen Religionen brechen, indem sie 1939 den Kirchenbeitrag in Österreich eingeführt haben, in der Hoffnung dadurch die Menschen aus der Kirchengemeinschaft zu vertreiben – damals ohne Erfolg.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde dieses Beitragssystem beibehalten und bei uns werden – wegen der erwünschten Unabhängigkeit der Kirche vom Staat – die Beiträge von den jeweiligen Diözesen eingehoben, während in Deutschland die Kirchenbeiträge automatisch im Zuge der Einkommens-Besteuerung einbehalten werden. Aufgrund der Entrüstung der Gläubigen über die Verfehlungen mancher Würdenträger und der Unzufriedenheit mit dem System der katholischen Kirche im Allgemeinen sind in den letzten Jahren in Österreich durchschnittlich etwa 60.000 Menschen pro Jahr aus der Kirche ausgetreten. Im Vorjahr ist die Zahl der Kirchenaustritte auf die Rekordzahl von rund 90.000 gestiegen und man vermutet, dass dafür die Sparbemühungen infolge der allgemeinen Teuerungen im Vordergrund standen. In Deutschland ist die prozentuelle Anzahl der Austritte angeblich wesentlich geringer, weil die Menschen ihre Beiträge nicht aktiv entrichten müssen und deshalb auch nicht vierteljährlich an ihre Zahlungspflicht erinnert werden. Wahrscheinlich wäre es sinnvoll auch bei uns eine allgemeine Kultusabgabe unabhängig von einer Religionszugehörigkeit vom Finanzamt einheben zu lassen und den Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu geben, diese einer ihnen genehmen anerkannten Religionsgemeinschaft zu widmen. Da es vermutlich bald eine Zwangsbesteuerung zugunsten des Staatsfunks geben wird, wäre eine verpflichtende Kultusabgabe (anstelle der Kulturabgabe zur GIS) durchaus berechtigt.

Dass Staat und Kirche strikt voneinander getrennt sind und die christliche Weltanschauung komplett aus der Verfassung verbannt wurde, führte in den letzten fünf Jahrzehnten nicht nur zu einem massiven Schrumpfen der Anzahl an Kirchenmitglieder, sondern auch zu einem immer rascheren Wertewandel in Teilen der Bevölkerung: Seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden Abtreibung und Homosexualität (aber auch Sodomie) nicht nur straffrei gestellt, sondern werden immer stärker medial als Normalität 'beworben', auf die jedermann und –frau ein Recht hat. Dies führt mitunter zu seltsamen Auswüchsen. So lud z.B. die junge Generation der Roten zum Valentinstag – dem Tag der Liebenden (!) – zu einer 'Vulva-Party' ein, bei der (richtige) Männer ausdrücklich ausgegrenzt wurden, damit (echte) Frauen gemeinsam mit Lesben und Transen o.dgl. , die sich 'als Frauen fühlen', ungestört feiern konnten. Dass die Liebhaber von roten Nelken in Wien traditionell seit jeher erst nach dem Aschermittwoch dem Tanzvergnügen frönen, ist dagegen längst keine Provokation mehr.

Andere Formen der Perversion sind gegenwärtig hingegen verpönter denn je. Missbrauch von Kindern hat es – insbesondere innerhalb von Familien, aber bekanntlich auch in der Kirche – zu allen Zeiten gegeben und die Opfer werden das wohl – im Unterschied zur erfundenen Romanfigur der Josefine Mutzenbacher, die ihrer 'Beschäftigung' laut der Erzählung angeblich schon in Kindesalter mit Freuden nachging – in den seltensten Fällen als Vergnügen empfunden haben, sondern leiden oft ein Leben lang unter den Folgen. Auch in Österreich wurden immer wieder Fälle publik, z.B. von Vätern die ihre Kinder im Keller eingesperrt und missbraucht haben oder von Lehrern die sich Nacktfotos von Schülern schicken ließen und viele andere mehr. Aber noch nie hat ein Fall so viel Aufregung verursacht, wie der jenes Burgschauspielers der Massen an Kinderpornos gesammelt hat. Ich will dieses Treiben weder gutheißen, noch verharmlosen, aber dennoch verstehe ich nicht, wieso gerade jetzt wegen dieses Einzelfalls über eine massive Anhebung der Strafen für das Ansehen derartiger Videos aus dem Darknet diskutiert wird und TV- und Kinofilme mit diesem Schauspieler nicht mehr gezeigt werden sollen. Ich vermute, dass die Androhung höherer Strafen weder die krankhaft veranlagten Einzeltäter im Inland abschreckt, noch den weltweiten Missbrauch auch nur um ein kindliches Opfer reduziert. Statt die Karriere des betroffenen Schauspielers komplett zu ruinieren, wäre es wesentlich klüger die Einhaltung seiner Therapie zu überwachen und ihn dazu zu verurteilen, seine Gagen bzw. Tantiemen an Opferschutzvereine abzutreten.

Im Übrigen ist gerade bei angeblichen Sexualdelikten jeder Art große Vorsicht vor Vorverurteilungen gegeben. Nicht erst einmal wurden männliche Erzieher von besorgten Eltern grundlos verdächtigt und medial verurteilt, wodurch ihr Leben zerstört wurde, obwohl sie sich im Nachhinein als unschuldig herausstellten (wie das sonst meist nur bei Politikern und hohen Beamten passiert). Und noch etwas gibt mir im Zusammenhang mit Kinderpornografie zu denken: Laut einem Zeitungsbericht soll angeblich rund ein Viertel der elfjährigen (!) Kinder bereits selbst pornografische Videos konsumiert haben. Wenn man berücksichtigt, wie stark sich die Masse von Kindern und Jugendlichen schon heutzutage von sogenannten Influencern beeinflussen lässt, frage ich mich, was das für Auswirkungen auf die Gesellschaft von morgen und die Entwicklung unserer Rechtsordnung haben wird?
Text und Bild: DDr.cer. Raffael
Kontakt für allfällige Rückmeldungen:
blech-bote@aon.at

zuletzt geändert: 28.02.2023 um 20.51 Uhr