Nummer 6/2023
Ein (ab)normaler Sommer

Egal worum es geht – ob Wetter, Politik oder vieles anderes – sorgte die 'Normalität' in letzter Zeit immer wieder für heftige Diskussionen.

Obwohl uns die zunehmende Erderwärmung zu Recht große Sorgen macht, verlief der heurige April ganz anders als erwartet: Die Temperatur war um rund 2 Grad niedriger als in Durchschnitt der letzten Jahrzehnte und die Niederschlagsmengen, welche seit 1858 – dem Jahr in dem Kronprinz Rudolf geboren wurde – aufgezeichnet werden, waren um rund 75% höher als normal, weshalb dieser Aprilmonat als einer der nassesten seit Beginn der regelmäßigen Messungen in unsere meteorologische Geschichte einging. Dafür war der Juni sehr trocken und es gab eine erste Hitzewelle mit bis zu 36 Grad in Bad Goisern. Mitte Juli stieg das Thermometer bei uns auf bis zu 39 Grad in St. Pölten und Graz und in Rom wurden sogar 43 Grad erreicht. Nicht nur in ganz Europa herrschte eine Rekordhitze, sondern es wurde auch die höchste globale Durchschnittstemperatur gemessen, d.h. es war der bisher weltweit heißeste Tag auf der ganzen Erde. Ist das noch normal?

Dazu muss man sich erst einmal mit dem Begriff 'normal' auseinandersetzten. Abgesehen von mathematischen oder chemischen Fachausdrücken ist dieses Wort ein Synonym für z.B. üblich, gewöhnlich, regelrecht, vorschriftsmäßig oder typisch und bedeutet, dass etwas über einen längeren Zeitraum betrachtet ähnlich abläuft oder dass es vorhandenen – z.B. gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen – Normen entspricht. Erst Normen als Maßeinheiten ermöglichen es Temperaturen zu vergleichen, um festzustellen, ob es heute wirklich objektiv wärmer als gestern ist, und um z.B. die Länge eines Stückes Stoff oder das Gewicht bzw. die Größe eines Brotes zu überprüfen, um sicher zu gehen, dass eine gekaufte Ware den mengenmäßigen Erwartungen entspricht. Aus diesem Grund wurden schon frühzeitig verschiedene Maßstäbe entwickelt, wie z.B. die am Stephansdom angebrachten Brotmaße und Ellen belegen, welche später weitgehend durch vereinheitlichte Maßeinheiten ersetzt wurden (vgl. Beitrag 'Mit Maß und Ziel' über die Einführung der metrischen Maße im Artikel 'Vor Jahr und Tag' im Blech-Boten 7/2021). Zwar sind insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum andere Norm-Maße als in Europa üblich sind, aber das Umrechnen verschiedener Einheiten ist heutzutage kein Problem mehr, da die Taschenrechner-Apps der meisten Smartphones über eine entsprechende Funktion verfügen.

Gesellschaftlichen Normen sind jedoch abhängig von der jeweiligen Epoche und der jeweiligen Kultur höchst unterschiedlich. Während im Nahen Osten vor allem bei Frauen sehr strenge Kleidungsnormen gelten, deren Missachten bisweilen noch immer mit drakonischen Strafen geahndet wird, hat sich in der westlichen Welt eine sehr freizügige Bekleidungskultur entwickelt. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es in katholischen Kirchen üblich, dass Männer beim Betreten eines Gotteshauses die Hüte abnehmen, während Frauen ihr Haupt zu bedecken hatten. Eine 'anständige' Kleidung war damals sowieso der Normalfall, was sich in den letzten Jahren aber sehr stark gewandelt hat. Heutzutage ist saloppe Kleidung schon fast überall die Regel, weshalb insbesondere in Südeuropa – wo die traditionellen Sitten noch etwas stärker verankert sind – die Besucher extra mit Tafeln darauf hingewiesen werden müssen, dass die Kirchen nicht mit (zu) kurzen Hosen bzw. Röcken und mit nackten Schultern betreten werden sollen. In vielen südlichen Städten hat es überhandgenommen, dass Touristen nicht nur den Strand, sondern auch historische Orte bzw. die Stadtzentren oben ohne (bzw. Touristinnen oben nur mit Bikinioberteil bekleidet) besichtigen, weshalb dies mancherorts mit Strafandrohungen verboten wurde. Bei uns finden hingegen immer wieder Demonstrationen von teilweise splitternackten Radfahrern und –innen statt, die damit für mehr Radwege und auf mehr Schutz für Radfahrende aufmerksam machen wollen. Auch beim alljährlichen Tanz-Festival in Wien entblättern sich laut Medienberichten wohlgeformte Tänzerinnen und Tänzer, um sich völlig hüllenlos zur Schau zu stellen und damit gegen den Schlankheitswahn und für ein entspanntes Denken über Nacktheit zu protestieren.

Parallel dazu beschweren sich jedoch die jungen Mit- (und vor allem Ohne-)glieder der Roten über angeblichen Alltags-Sexismus und behaupten, dass Männer im Sommer leicht bekleidet herumlaufen dürfen, während Frauen gegebenenfalls womöglich belästigt werden, wobei offenbar schon das Betrachten des zur Schau gestellten als Belästigung empfunden wird. Bei Ballveranstaltungen im Winter, bei denen die Männer in Smoking oder gar Frack schwitzen müssen, während sich Frauen gerne sehr offenherzig präsentieren und sogar durchsichtige Kleidungsstücke tragen, die gerade wieder sehr modern sind, habe ich derartige Beschwerden noch nie gehört, was auch damit zu tun haben dürfte, dass diese Damen einer anderen Gesellschaftsschicht angehören. Auch bei Regenbogenparaden und ähnlichen Veranstaltungen zeigen sich manche der für Diversität und Queerheit eintretenden Menschen oft spärlich bekleidet. Aber in der Sauna hört sich der Spaß scheinbar auf. Als unlängst in Wien eine deutsche, muslimische Trans-Frau mit männlichen Köpermerkmalen, aber laut Ausweis dem weiblichen Geschlecht zugehörig, eine Damensauna besuchte, war die Empörung unter den anwesenden Frauen groß. Die (offenbar zumeist alleinstehenden) Frauen besuchen nämlich die Damensauna, da sie sich in der gemischten Sauna den männlichen Blicken ausgesetzt fühlen. Aber warum müssen Frauen, welche mit ihren Partner eine gemischte Sauna besuchen, die Blicke der zahlreichen alleinstehender Männer dulden, die üblicherweise keinen gesonderten Bereich haben oder diesen nicht nutzen?

Bleiben wir zur Abkühlung gedanklich noch kurz im Bad, aber wenden wir uns wieder der Bekleidung zu. Badeschlapfen sind dort aus Gründen der Sicherheit sowohl zur Verminderung der Rutschgefahr, als auch aus hygienischer Vorsicht zu empfehlen. Außerhalb des Bades und in Kombination mit weißen Tennissocken war diese Kleidung eigentlich schon in den 1970er Jahren ein modisches No-Go. In letzter Zeit erlebt diese unmögliche Kombination jedoch bei Jugendlichen angeblich ein Come-Back und wurde sogar von einem anerkannten Modemagazin als Trendschuh anerkannt. Ich persönlich finde ja nicht einmal Turnschuhe – die man jetzt 'Sneakers' (d.h. wörtlich 'Schleicher') nennt – im Alltag als normal und bevorzuge im allgemeinen Lederschuhe. Ich bin eben konservativ, aber ich weiß, dass weiße Sneakers zum Anzug mittlerweile nicht nur bei Künstlern beliebt sind, sondern sogar auch in Politikerkreisen angekommen sind und daher offenbar die neue Normalität darstellen. Aber wie man sich kleidet ist sowieso jedermanns Privatsache.

Ganz anders sieht die Situation jedoch bei gesellschaftspolitischen Normen aus. Mit ihrer Äußerung, beim Klimaschutz oder beim Gendern die Anliegen der großen Mehrheit der normal denkenden Bevölkerung vertreten zu wollen, hat unsere niederösterreichische Landeshaupt-Kartellschwester bei Grünen und Konsorten eine Welle der Empörung ausgelöst. Obwohl das harmlose Wort 'normal' laut dem von Oxford Languages für Google zur Verfügung gestelltem, deutschen Wörterbuch unter anderem 'so beschaffen, wie es sich die allgemeine Meinung als das Richtige vorstellt' bedeutet, haben in der darauffolgenden medialen Diskussion Sprachwissenschaftler (Anm.: hier bewusst mit 'L' geschrieben) angeblich herausgefunden, dass es sich dabei immer um eine Ausgrenzung und somit um eine Abwertung anders Denkender handle. In dieselbe Kerbe schlug auch unser ex-grüner Staats-Oberhäuptling bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele, ohne die Äußerung des Witze- pardon Vizekanzlers, dass Normalität 'präfaschistoid' sei, zu kritisieren. Offenbar gilt die Unterstellung von Faschismus (d.h. von Rechtsextremismus und Rassismus) nicht als abwertend bzw. ausgrenzend?!
Text und Bild: DDr.cer. Raffael
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zuletzt geändert: 25.07.2023 um 22.37 Uhr