Nummer 10/2023
Das Rad der Zeit

Das Rad war wohl eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit. Seither ist sehr viel Zeit vergangen und das Rad der Zeit dreht sich – nicht nur scheinbar – immer schneller.


Im Neuen Testament heißt es: 'Das eine aber, liebe Brüder, dürft ihr nicht übersehen: Dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind.' (2 Petr 3,8). 'Tausend Jahre sind ein Tag' heißt auch der Titel eines zeitkritischen Liedes von Udo Jürgens aus dem Jahr 1979. Weiter heißt es darin unter anderem '… die Erde ist bald ausgeraubt, das Wasser tot, das Land entlaubt …'. Schon seit mehr als 50 Jahren (z.B. 1971 Arik Brauer mit dem Lied 'Sie hab’n a Haus baut' oder Friedensreich Hundertwasser) haben sich Künstler kritisch mit dem Thema Umweltschutz auseinandergesetzt. Erreicht haben sie damals nur wenig und heute sind wir kaum einen Schritt weiter, wie die letzte UN-Klimakonferenz beweist. Auf Einladung eines erdölproduzierenden (!) Landes sind aus den knapp 200 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mehr als 80.000 Menschen mit Flugzeugen, viele sogar mit Privatjets, nach Dubai gereist, um beim Weltklimagipfel über Klimaschutzprojekte zu beraten. Unter die Teilnehmer haben sich auch zahlreiche Lobbyisten für (!) die weitere Nutzung fossiller Brennstoffe gemischt. Herausgekommen ist daher lediglich eine wage Absichtserklärung zur 'Abkehr' von fossilen Energien und nicht, wie von mehr als 100 Staaten gefordert ein klarer Ausstieg. Die Erderwärmung wird also vermutlich weitergehen, aber wer ist dafür verantwortlich?

Drehen wir das Rad der Zeit doch einmal zurück und schauen uns die Entwicklung der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte im Zeitraffer etwas genauer an. Von der Urgeschichte bis zum Mittelalter hat sich das Leben der Menschen verhältnismäßig wenig geändert. Der Großteil der Bevölkerung lebte in ländlichen Gebieten im Einklang mit der Natur und betrieb Jagd und Landwirtschaft, um das Überleben für sich und die jeweiligen Landesherren zu sichern – sofern die Männer nicht zum Dienst in einen der zahlreichen Kriege eingezogen wurden, bei denen nebenbei oft die lebensnotwenige Ernten zerstört wurden, weshalb Zeiten der Entbehrung folgten. Auch von der Renaissance bis zum Rokoko änderte sich noch wenig, abgesehen davon, dass die Bedeutung der Städte wuchs und eine kleine Schicht von wohlhabenden Bürgern sich vermehrt den Luxus leisten konnte sich für Kunst und Kultur zu interessieren. Die große Veränderung begann erst Ende des 18. Jahrhunderts mit der Erfindung – oder richtiger gesagt der Verbesserung – der Dampfmaschinen. Das Prinzip der Dampfkraft war schon viel früher erkannt worden, aber erst James Watt konnte mit seinem Patent die Effizienz dieses Systems soweit steigern, dass eine wirtschaftliche Nutzung möglich war – die industrielle Revolution begann!

Das erste Dampfschiff mit Schaufelrädern wurde schon vor und die erste Dampflokomotive kurz nach 1800 gebaut. Auch die Idee eines 'Schiffspropellers' hatte Josef Ressel schon vor mehr als 200 Jahren. Aber obwohl sein erster Versuch mit einer Schiffschraube, der 1827 stattfand, erfolgreich war, wurde diese Erfindung vorerst nicht genehmigt und erst einige Jahre später von jemand anderen kommerziell genutzt – ein typisch österreichisches Erfinderschicksal. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert wurde der Verbrennungsmotor erfunden und Siegfried Marcus baute 1870 den ersten Wagen mit Benzinmotor. Er war damit aber nicht so erfolgreich wie sein deutscher Kollege Carl Benz, der das erste in Großserie hergestellte Auto der Welt entwickelte und damit den Grundstein für den heutigen Konzern legte. Kurz nach 1900 konnten die ersten Flüge mit einem Motorflugzeug unternommen werden und bald darauf wurde in Bozen die erste Schwebeseilbahn der Welt errichtet. Alle diese Erfindungen, deren Weiterentwicklungen bis heute sehr wesentlich zur Schadstoffbelastung und Umweltverschmutzung beitragen, waren aber damals infolge der geringen Stückzahlen noch kein Problem und die Folgen noch unabsehbar.

Arbeitsrechtliche Regelungen gab es zu Beginn des industriellen Zeitalters noch nicht und die Fabrikarbeiter mussten – ebenso wie die Knechte und Mägde auf den Bauerhöfen oder die Dienstboten der Adeligen und der wenigen reichen Bürger – nahezu rund um die Uhr arbeiten. Erst nach den Revolutionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde im Jahr 1859 die Arbeitszeit mit 11 Stunden pro Tag begrenzt und am Sonntag eine halbtägige Ruhepause zum Messbesuch gewährt. Freizeit im heutigen Sinne gab es somit de facto noch nicht. Dessen ungeachtet sind noch vor der Jahrhundertwende die ersten Fußballvereine in Österreich entstanden. Der älteste war der von zugewanderten Engländern gegründete First Vienna Football Club, aber auch Rapid wurde schon vor 125 Jahren als Arbeiter Fußball Club gegründet. Mit dem Ende des ersten Weltkriegs und den folgenden Wirtschaftsaufschwung veränderten sich die Arbeitsbedingungen zum Besseren. Während gegen Ende der Monarchie trotz der langen Arbeitszeiten nur manche Betriebe bzw. Branchen ihren Arbeitnehmern einen Urlaub von maximal zwei Wochen zugestanden, wurde die Arbeitszeit 1919 auf 8 Stunden pro Tag und 6 Tage pro Woche verkürzt und nur zwei Jahre später mit dem Angestelltengesetz ein Urlaub von zwei bis fünf Wochen (je nach Dienstzeit) eingeführt. Erst dadurch wurden Sommerfrische und/oder Winterurlaub, die bis dahin einer kleinen wohlhabenden Gesellschaftsschicht vorbehalten waren, für breitere Bevölkerungsgruppen zugänglich, womit in den 1930er Jahren unter anderen der Ski-Boom begann, der den Bau von zahlreichen Schleppliften und anderen Aufstiegshilfen zur Folge hatte.

Nach der Unterbrechung des Fortschrittes durch den zweiten Weltkrieg dauerte es eine Zeit bis sich die Wirtschaft erholte und die Arbeitnehmerschaft den Aufschwung nutzen konnte um daran zu partizipieren. In der Zeit von 1959 bis 1976 wurde in Etappen die Arbeitszeit von 48 auf vorerst 45 und später 40 bzw. 38,5 Wochenstunden verkürzt und parallel dazu der Urlaubsanspruch für alle (d.h. auch für Arbeiter) auf vorerst drei und später mindestens vier bis sechs Wochen pro Jahr erhöht. All diese arbeitsrechtlichen Verbesserungen, die ich selbst während meiner gesamten Berufstätigkeit genießen durfte, haben zur Folge, dass die Dienstnehmer (wenn man die Stundenverkürzung einrechnet) heutzutage rund 70 bis 80 Tage pro Jahr mehr Freizeit haben als noch vor 100 Jahren. Da wir – trotz des allgemeinen Jammerns – in einer Wohlstandsgesellschaft leben, in der die meisten Menschen die arbeiten wollen, das auch können und dafür relativ gut bezahlt werden, wird diese Freizeit gerne genutzt um mit dem Auto Ausflüge zu machen oder mit Flugzeugen oder Kreuzfahrtschiffen auf Urlaub zu fahren, was zwar der Freizeitwirtschaft und dem Tourismus im In- und Ausland zugutekommt, aber leider gleichzeitig die Umwelt schädigt. Eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, wie die Gewerkschaft und linke Politiker das oft fordern, klingt zwar für Arbeitnehmer als Wahlzuckerl verlockend, wäre aber nicht nur für die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft, sondern sicher auch für die heimische Umwelt eine Katastrophe. Wobei hinsichtlich der Luftverschmutzung die Bedeutung Österreichs ohnehin nur marginal ist, da unser Land ohnehin nur 0,2% des weltweiten CO-2-Austtoßes verursacht

Was die Welt wirklich bräuchte ist daher eine Lösung, wie man die einfachen Menschen weltweit (!) dazu bringt umzudenken und den Konsum einzuschränken, indem weniger, aber dafür hochwertigere Produkte aus der Region gekauft werden, anstatt mit Hilfe von zumeist amerikanischen IT-Konzernen mit Kinderarbeit oder unter sklavenähnlichen Bedingungen (wie sie bei uns vor mehr als 100 Jahren ebenfalls noch üblich waren) produzierten Ramsch aus Fernost zu erwerben. Durch die Entwicklung der EDV und Elektrotechnik in den letzten Jahrzehnten – welche noch wesentlich rascher voranschreitet als die Erfindung von mechanischen Maschinen seit Beginn des industriellen Zeitalters – und die damit einherschreitende Globalisierung, dreht sich das Rad der Zerstörung der Welt durch den Menschen immer schneller. Aber singuläre 'Lösungen', wie die mittlerweile teilweise schon schikanösen Maßnahmen zur Behinderung des Individualverkehrs in Österreich durch 'grüne' Verkehrsplanung, werden die Welt leider nicht retten können. Wir können nur hoffen, dass vielleicht doch ein Wunder geschieht und diese Erkenntnis im neuen Jahr 2024 allen Lobbyisten zum Trotz ein weniger radikales, dafür weltweites und effizientes Umdenken in Gang setzen, damit die nächste Generation nicht die letzte ist.
Text + Bild: DDr.cer. Raffael
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zuletzt geändert: 02.01.2024 um 12.11 Uhr